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SPUREN / TRACES/ OF THE LOST
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Handkes Lesestücke |
"SPUREN DER VERIRRTEN" oder "KALI Eine Vorwintergeschichte". Beide Texte sind von Peter Handke; sein Verlag hat sie vor ein paar Tagen auf den Markt gebracht. Der eine von den beiden gibt sich als Theaterstück, der andere als Prosa. Liest man sie, egal in welcher Reihenfolge, fällt zuallererst der parallele Grundton auf. Ein Auktorialer (Handke) parlandiert. Bei "SPUREN DER VERIRRTEN"hat man ihn sehr schnell als Zuschauenden ausgemacht. In "KALI Eine Vorwintergeschichte" nicht viel anders. Hier wie da dient er, der Auktoriale, als das Sprachrohr seines Ich-Verfertigers. Ja und obgleich das Wörtchen "ich" fast nie oder so gut wie überhaupt nicht fällt, ist dieser Auktoriale (Handke) eine Krücke für den Leser. Kann er doch, der Leser, so am allerbesten spüren-fühlen-greifen, dass die Abläufe, um die's ihrem Beobachter (dem auktorialen Handke) ging oder zu gehen schien, vor allem seine zu beobachtenden waren oder sind. Und ich, der Leser, werde für die kurzweilige Zeit meiner Lektüre: Handke. |
"KALI Eine Vorwintergeschichte" lässt mich in die Tiefe eines Salzbergwerks abtauchen. Und ich lese da von einer Opernsängerin, die sich in ihre Kinderwelt zurück begibt. Das Land ist mir zutiefst vertraut, es liegt im ostöstlichsten deutschen Osten, und es wird als "Toter Winkel" abgesteckt. Warum hat Handke seinen Weg dorthin gewollt? was war der Auslöser für seinen kurzen Abstecher in dieses Land?? wo lässt sich sein Befinden mit demjenigen der dieses Land Verlassenden oder Verlassenwollenden befestigen??? Alles so Fragen, die mir während meines Lesens kamen; und ich bin ein DDR-Kind; existierte dann die Vor-Geschichte jener Opernsängerin - die machte sich ja auf, um ihrer Mutter wiederzubegegnen - wirklich da in der von mir gedachten und gefühlten "alten" DDR-Gegend; ich kann auch sehr verirrt das Alles dann gelesen haben. |
"SPUREN DER VERIRRTEN" nun, dieser vermeintliche Theatertext, geht viel viel weiter. Er umklärt einen Erfahrungshorizont eines als Zuschauer bzw. Zuschauenden vorqualifizierten Handlungs-Trägers. Er ist sozusagen Hauptperson in diesem Unstück. Er bemerkt es ausdrücklich an sich, aus sich heraus. So liest er sich, auf jeden Fall. Als Monologtext ist das Ganze aufgebaut. Der Monolog des zuschauenden Zuschauers... freilich nicht nur auf offner Bühne. Handke ist derjenige. Er lässt es seinem Leser wissen, es ist für ihn eingestanden, eine abgemachte Sache zwischen ihm & mir & uns. Zuschauen, das allein, ist hier gefordert und gefragt.
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Peter Handkes SPUREN DER VERIRRTEN: Axel Werner (mit Napoleon-Hut) steht einer nachbarschaftlich zwielichtigen Szene zwischen Carmen-Maja Antoni und Ursula Höpfner als Beobachtender bei - Foto (C) Monika Rittershaus |
Claus Peymann, der bereits das zehnte oder elfte Mal ein Stück von Peter Handke inszeniert, nimmt Handke als den Auktorialen wortwörtlicher Weise ernst, er macht ihn körperlich. Der Zuschauer, der Zuschauende (Handke) wird als Rolle, als Figur, als handelnde Person gegeben. Jene auktorialen Stellen dieses durchgehenden Prosatextes - alle handlungsfreien Stücke Handkes sind zugleich auch wunderbar gesetzte Prosatexte; dieser Trend, für/gegen das Theater anzuschreiben, wird in letzter Zeit auch immer mehr und immer wieder von der Jelinek'schen Stückästhetik aufgegriffen und bestätigt - werden dann auch 1:1 in praxi umgesetzt. Das nimmt der generellen Poesie dieser geheimnisvollen Arbeit ihren Wind. Es deckelt auf was eigentlich vor allgemeiner Neugier schützen sollte. Und es macht es auch den Darstellenden überhaupt nicht einfacher, hinter die milchstraßigen Läufte, die dem Zuschauer und Zuschauenden während seiner fast zwei Stunden dauernden Beobachtungen in den Sinn gekommen waren, zu gelangen. Episodensehen. Allgemeinerlebtes... hoch gekommne Szenenschnippselei. Kein noch so künstlich dargestellter Mensch, der jenem Zuschauer und Zuschauenden (Handke) wirklich was von sich und seinem Leben, etwas markig Einprägsames, dann verriete. Es ist nichts zum Spielen, nichts zum Nachgespieltsein. Peter Handkes Text erklärt sich allenfalls durch seine Poesie. Und hätte Peymann statt der "SPUREN DER VERIRRTEN" besser"KALI Eine Vorwintergeschichte" auf den Spielplan des BE gesetzt, es wäre ganz genauso ausgegangen. Keinem Ausführenden trifft die Schuld. Es war und bleibt ein schöner Ehrgeiz, Peter Handkes Lesestück geprobt zu haben. |
Die Warte des Zuschauers
Peter Handkes "Spuren der Verirrten"
Von Klaus Bonn
Man hat Handkes Stücke oft als undramatisch eingestuft, die frühen Sprechstücke ebenso wie das spätere Dramatische Gedicht "Über die Dörfer" (1981) oder "Das Spiel vom Fragen" (1989). Undramatisch, weil dramatische Konflikte, ja überhaupt eine dramatische Handlungsführung darin nicht zu finden sei. Handke selbst sieht seine Stücke als "episches Theater", wie er einmal gesagt hat, und dabei ist an Brecht freilich nicht zu denken. Keine didaktischen Impulse, kein Thesen-Theater und schon gar kein Agitprop.
All diese stationär wirkenden Dramen seit "Über die Dörfer" kreisen um Figuren, die in einer Lebenskrise stecken, Verzagte, die von sich erzählen und solche, die zuversichtlich den Untröstlichen einen Schub geben, sie auf den Weg bringen. Unterwegs sind sie alle mehr oder weniger, Pilger im Dienst eines anderen Lebens. Pilgernde gibt es auch in "Spuren der Verirrten", jedenfalls eine Menge Menschen, die mal in der einen, mal in der anderen Richtung auf der Bühne in Bewegung sind, als kennten sie sich nicht recht aus und wüssten nicht, wohin sie der Aufbruch führen soll. Solcherlei zeigt sich als eine gleichsam dramatische Grundsituation, die einem auch aus Handkes Romanen vertraut ist. Jemand fällt aus seinem gewohnheitsstarren Lebenszusammenhang heraus, er wird auf eine Reise geschickt oder schickt sich selbst, ein Wandel ereignet sich mit ihm, und am Ende steht vielleicht gar eine Verwandlung, eine Anleitung hin zum richtigen Leben und Tun.
Dieser Grundzug durchweht auch "Spuren der Verirrten", so dass man, verstimmt ob solcher Wiederholungslitanei, das Büchlein nach flüchtigem Durchblättern rasch beiseite legt. Man kann aber auch, einmal ungeachtet jener konstant bleibenden Grundtendenz Handke'scher Prägung, Differenzen ausmachen zu früheren Stücken und den schmalen Text, nach anfänglichem Missmut über den getretenen Quark, wieder hervorholen und im bedächtigen Lesen schätzen lernen. "Spuren der Verirrten" dürfte das erzählerischste Stück sein, das Handke bislang verfasst hat. Es gibt keine dramatis personae im strengen Sinn, wenn auch manche der namenlosen Figuren aus der vorbeiziehenden Menge noch daran erinnern, wie der "Dritte", eine Art Mentor oder geistiger Leiter der Gruppe, und der "Möchtegern-Held". Erzählt wird das Ganze von einem Ich, erklärtermaßen dem Zuschauer des Geschehens, der gleich zu Beginn von sich sagt: "Seit jeher habe ich nichts getan als zuschauen. Und inzwischen ist das meine Rolle geworden."
Das ist nicht neu bei Handke und könnte auch für die eine oder andere Figur aus seinen Romanen gelten. "Das Zuschauen" - hat Handke in einem Gespräch mit Peter Hamm bekräftigt - "ist etwas, das wir alle brauchen [...], daß uns jemand zuschaut auf eine umfassende Weise, wie man sich vielleicht das von Gott vorstellt, [...]." Kein Voyeurismus also. Das Zuschauen ist die bevorzugte Tätigkeit, die einer Handke-Figur angedichtet werden kann. Im vorliegenden Fall lässt der Zuschauer die aus Paaren gefügte Menge an sich vorüberziehen. Dass sie zu einer neuerlichen Arche unterwegs wären, um vor einer neuerlichen Sintflut gerettet zu werden, wird nicht gesagt, aber auch nicht bestritten. Aus der Menge, die zunächst ohne Sprache daherzieht, werden dem Zuschauer allmählich Gesprächsausschnitte vernehmbar, wie früher schon den beiden Engeln die Selbstgespräche im Film "Himmel über Berlin". Was da geredet wird, manchmal wie ein Schlagabtausch, kommt zuweilen vor, als sei es montiert aus Übrigbleibseln, die in die Prosaarbeiten nicht hineinpassen wollten, Schlacken der Prosa.
Die lange Rede dann des "Dritten", der als Leitfigur für die anderen gegolten hatte, führt zu einer Wende in dem Stück. Also doch ein dramatischer Kunstgriff, eine Weise der Peripetie. Hatte sich bis dahin eine allgemeine Trostlosigkeit breit gemacht, so kündet jetzt dieser lange Monolog vom Ende der Zeit, einer kurz bevorstehenden Menschheitsdämmerung. Solch apokalyptische Stimmung löst eine heillose, letztlich aber doch heilsame Verwirrung aus, die selbst auf den Sprachakzent abfärbt. Nicht die Vermessenheit, sondern die Hoffnungslosigkeit der Menschen ist es hier, welche die Sprache verwirrt. Erst als der "Möchtegern-Held" über die "gemeinsame [...] Tragödie des gemeinsam zum Schattendasein Verurteiltseins" lamentiert, schreitet der Zuschauer ein. Da sollen freundlichere Töne angestimmt werden. "Schluß also mit dem tragischen Gehabe. Tragödien, solche oder solche, gibt es nach dem neuesten Stand der Forschung nicht mehr."
Er hätte auch sagen können: Ihr müsst nicht noch Theater machen, wenn sowieso schon alles Theater ist. Die Ansprache des Zuschauers revidiert den Glauben an ein Ende der Zeit zugunsten der "Spielzeit". Und dann spricht er schließlich jenen Kernsatz aus, der als Motto für das ganze Stück zu lesen wäre: "Könnte nicht ein jeder von euch noch und noch Geschichten erzählen, wie sich das Blatt gewendet hat - und nicht immer zum Bösen - dadurch, daß er als Zuschauer wirkte, als Zuschauer tätig war?"
Das Drama soll zur Erzählung werden. Die Worte scheinen bei denen auf der Bühne zu fruchten, fangen manche doch tatsächlich an, von sich zu erzählen. Die Zuversicht, das uneingeschränkte Ja zum Weitergehen und Sichverirren hält aber nicht lange vor. Die beständige Verirrung ist doch nur Trug, das Gehen bloß ein Trott, auch wenn Handke das so ausdrücklich nicht bestätigt haben möchte. Handkes Stück lebt gewiss nicht von der Botschaft seiner Zuschauer-Figur, sich im Spiel zu ergehen und nicht so schwarz zu sehen. Einmal lässt er eine Frau ausrufen, als sei sie eine Komparsin des Zuschauers: "Schluß mit den Dramen. Das Leben soll erscheinen."
Das klingt banal und pathetisch zugleich. Es zeigt sich nachgerade in den vielen kleinen Dialogauszügen, dass das Dramatische unweigerlich im Alltäglichen steckt wie der Wurm, man muss nur einen Blick dafür gewinnen. Der Zuschauer verkörpert den Idealtypus des sammelnden Erzählers, und wenn die Erzählbarkeit zu verschwinden droht, ist es seine Aufgabe, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Ohne die Funktion einer bündelnden Aufmerksamkeit des Zuschauers gäbe es keine Berechtigung für die knappen, mal lakonisch heiteren, mal in fast heilig zu nennendem Ernst daherkommenden Dialog- und Monologszenen, die den eigentlichen Wert und die Qualität des Stücks ausmachen. Mancher Leser mag sich erfreuen an den Anspielungen, die nicht selten darin aufgehoben sind. Etwa wenn der "Möchtegern-Held" von sich selbst sagt: "Was mich überleben wird: mein dummes Gesicht über der Kante zum Abgrund. Und die Scham, daß mein Fall auch noch Zuschauer hat." Da wird Kafkas Josef K. eine tragikomische Referenz erwiesen. Alles ist Spiel, Theater, das in den namenlosen Figuren aufgefächerte Alltägliche nimmt in der Sprache, einer Sprache, die stets den Keim zum Erzählen in sich trägt, Gestalt an und seinen Lauf.
"Spuren der Verirrten" ist kein Sprechstück, wie auch immer es auf der Bühne gelingen mag, die Figuren und ihre Sprache tatsächlich zu verkörpern. Ein Lesestück ist es durch seinen Erzählgestus allemal.
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