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SPUREN / TRACES/ OF THE LOST

 

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TO THE 2006/7 PLAY

SPUREN DER VERIRRTEN/

TRACES OF THE LOST

HERE ARE A NUMBER OF LINKS

TO REVIEWS, ONE OF WHICH

I PUT UP IN THE ORIGINAL

GERMAN. AND SOME PHOTOS

FROM THE PRODUCTIONS:

http://www.literaturhaus.at/buch/buch/rez/handke_spuren/


http://www.focus.de/kultur/buecher/peter-handke_aid_124800.html


http://oe1.orf.at/inforadio/75856.html?filter=5


http://www.faz.net/s/Rub79A33397BE834406A5D2BFA87FD13913/Doc~EBF067788E3184FD0A7E1365F5965DFB6~ATpl~Ecommon~Scontent.html

http://www.tagesspiegel.de/kultur/Berliner-Ensemble-Handke;art117,1878647

http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=10244 

 

I have not written on the play so far

since it reminds me too much of HOUR

and I would need to see it to gauge 

what the "author" becoming a kind of participant as a heckling audience at

the sidelines would do to change my

experience of the play, comparatively.

AN EXCERPT OF THE PLAY

IS A WAYS DOWN THIS PAGE. 

 

 

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Peter Handke
Spuren der Verirrten.
Theaterstück.
Frankfurt / M.: Suhrkamp, 2006.
88 S.; brosch.; Eur (A) 15,30.
ISBN 3-518-41854-8 .

Unsere Spuren - wären sie aufgezeichnet: was für ein Bild würden sie wohl geben.

Spuren der Verirrten, Spuren von Paaren und Passanten auf der "immergleichen, immer gleichhellen" leeren Bühne, zu zweit, zu dritt treten sie auf und ab, schweigend zunächst, kurz verweilend, im Gehen zur Sprache findend, stammelnd. Wie alle Figuren Peter Handkes sind sie unablässig unterwegs, stolpernd, hastend, schleichend, flüchtend, Pilger, die sich verirrt haben. Sie werden beobachtet, belauert, belauscht von dem Autor in der Rolle des Zuschauers, eines aufmerksamen Beobachters, der das Bühnengeschehen beschreibt, "Geschehnisse - keine Aktion freilich", bloß eine "kleine Völkerwanderung" Verlorener, Vertriebener, Verirrter, die so gerne zu Helden ihrer Dramen geworden wären. Noah, Abraham, Odysseus, Medea, Josef K. - ihre literarischen Rollenvorbilder werden herbeizitiert, doch finden ihre Dramen nicht mehr statt, sie spielen nur noch falsche Rollen in einer postmodernen Tragödie "des gemeinsam zum Schattendasein Verurteiltseins" als blasse Nachbilder der mythischen Helden antiker Tragödien, als Schattenrisse biblischer Gestalten. Die Zeit der Helden, die Zeit der Tragödien ist vorbei, "weil es keine Schuldigen mehr gibt" und auch keine Unschuldigen.

Und so ist auch Peter Handkes neues Stück keine Tragödie im klassischen Sinne mehr, und schon gar keine Komödie, sondern zielt vielmehr auf die Demontage der traditionellen Dramaturgie und ihrer Repräsentanzfunktion, durch die Zerstörung des herkömmlichen dramatischen Außensystems - einschließlich Fabeldramaturgie, Figurenspiel, Dialog und der durch ihn konstituierten Handlung. An ihre Stelle setzt Handke eine Art Heiner Müllersche Bildbeschreibung, eine dramatische Erzählung über die Vorahnung des Krieges, über den Verlust des Friedens, über Vertraute und Fremde, über das "Verschwinden des Anderen" und das Ende der gestundeten Zeit. "Die Zeit, sie zeitigt nichts mehr" denn "für den Verirrten beginnt eine andere Zeit, (...) eine grundlegend neue."

Die namenlosen Figuren, Männer oder Frauen, es ist nicht immer klar zu erkennen, die die Bühne bevölkern, sie ziehen durch unauffällige Gesten den Blick des Zuschauers auf sich, sie scheren aus der Menge aus, die allmählich den gesamten Bühnenraum füllt, sie finden allmählich aus der Gehbewegung heraus zur Sprache, sie suchen nach Worten, formulieren gebrochene Sätze, sich aufbäumend gegen die Leere, gegen das Schweigen, indem sie sich Gehör zu verschaffen suchen, um vom Zuschauer für einen Augenblick in ein Sprachbild gebannt zu werden. Nur durch seine Wahrnehmung hinterlassen sie Spuren.

Flüchtige Wortfetzen, Fragmente eines Streitgesprächs, die gestammelte Antwort auf unbekannte Fragen, Sätze, die nicht zu Ende geführt werden, manche banal, manche strotzend von ernsthaftem Pathos - allein der Autor/Zuschauer als allmächtige Instanz verknüpft diese einzelnen Bruchstücke zu einer Sprachbildmontage, doch zeitigt sein Blick von keinerlei Voyeurismus, im Gegenteil, durch seine Anwesenheit wird das Geschehen überhaupt erst bedeutsam, werden die Worte der Figuren bewahrt, wird ihre Bewegung in einer Momentaufnahme still gestellt und so aufgespart für den Leser, für dessen Zukunft: "Das Zuschauen ist etwas, das wir alle brauchen [...], dass uns jemand zuschaut auf eine umfassende Weise, wie man sich vielleicht das von Gott vorstellt, [...]", beschreibt Handke in einem Gespräch mit Peter Hamm diese Poetologie der genauen Beobachtung, mithilfe derer er sein Werk auf der Seite der Rezeptionsästhetik ansiedelt. Handke überführt die Rolle des Autors bewusst in die des Zuschauers, des Lesers. Erst durch ihn findet das Werk seine Vollendung.

Und so ist es auch der Zuschauer, der die Verirrten zurück in ihre Bahnen lenkt und nach dem vermeintlichen Exodus, dem Ende der Zeit, die Hoffnung auf eine neue Zeitordnung - die Spielzeit (oder Erzählzeit) - weckt, wenn er sich, als die Sprechhandlung buchstäblich ins Stocken gerät, in das Bühnengeschehen einmischt und an die Figuren appelliert, weiterzuspielen: "Und gefälligst immer bezogen auf mich, der euch zuschaut. Könnte nicht ein jeder von euch noch und noch Geschichten erzählen, wie sich das Blatt gewendet hat - und nicht immer zum Bösen - dadurch, dass er als Zuschauer wirkte, als Zuschauer tätig war?"

Bereits in seinem großen Roman "Der Bildverlust" benannte der Autor das therapeutische, das lebensstiftende Potential des Erzählens, da, so seine Vermutung, jedes Erzählen aus der Erfahrung des Krieges geboren sei, um den Schrecken in der Sprache zu bannen; Erzählen, um sich durch die Sprache des eigenen Überlebens zu versichern, um daraus Hoffnung zu schöpfen und die Drohung des Todes, das Ende der Zeit zu bannen. Wie Sheherazade, die sich von der abgelaufenen Zeit eine Gnadenfrist allein durch Erzählen erbat, so schenkt auch der Zuschauer den Verirrten, der Autor Handke dem Leser dieser wunderbaren Prosaminiatur das Versprechen der Erzählung.

Als der Schmerz nachließ - 
und das Erzählen einsetzte: 
Das waren noch Zeiten.
Das war die Zeit.

 

Martina Wunderer
10. Jänner 2007

Originalbeitrag

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Peter Handke - "Spuren der Verirrten."
Leseprobe

"Und wieder die Gehenden, jeweils zu zweit, als eine Art Paar, jedesmal ein verschiedenes. Von Zeit zu Zeit ist dann auch ein Dritter mit ihnen. Und wieder die auf der einen Seite Auftretenden, auf der anderen Seite Abgehenden und, nach einer kleinen Pause, in geänderter Aufmachung und Gestalt, neu Auftretenden, zu ihrem jeweiligen Reden oder Schweigen Innehaltenden, oder sich Verlangsamenden, oder Beschleunigenden, und so von Anfang bis Ende, während der ganzen Spielzeit. Und wieder habe auch ich meinen Platz eingenommen, als Zuschauer. Seit jeher habe ich nichts getan als zuschauen. Und inzwischen ist das meine Rolle geworden." (S. 7)

"Lange Pause. Kopfwiegen des Fragers. Dann das Wiegen des ganzen Körpers. Dann: "Das erste Geräusch, das dir was bedeutet hat?" Pause. der Gefragte hat schließlich die Hände vom Gesicht genommen und sich vernehmen lassen: "Das Geräusch des Regens im Laub, im Spätherbst, unter der großen Esche, damals, am Rand der Kuhweide, am Rand des Bachs, beim Kartoffelfeuer. Von allen Bäumen dort behielt die Esche am längsten ihre Blätter. Und wie der Regen da auftraf, das begleitet mich bis jetzt." Der erste: "Na also: Es wird schon wieder. Alles wird wieder, wie es war." Der zweite: "Nichts wird wieder. Nichts. Gar Nichts." Er schlägt sich wieder die Hände vors Gesicht und läuft weg. Und der erste läuft ihm nach." (S. 18-19)

"Die Zeit hat ausgespielt. Ein Stich ist geschehen, ein Stich ins Herz der Welt. Die Zeit, sie zeitigt nichts mehr, und nicht bloß nicht den anderen, sondern überhaupt jegliches Gegenüber. Ohne Zeit kein Gegenüber. Und im einzelnen heißt das: Ah, der Wind jetzt, und jetzt!: Das war einmal. Und: Ah, die Bäume da, und ich? und ich? Und: Ah, das Blau da, und du? und du? Oder du schlägst im Weltwörterbuch nach und stößt buchstäblich jedesmal wieder auf dasselbe einzige Wort, und in unserem Fall hier wäre das zum Beispiel ein arabisches: eines ohne Selbstlaute, einzig aus Konsonanten, dnk, und das heißt: kümmerliches Leben. Die Zeit, die Würze er Würzen, ist schal geworden, und die Welt ist unbespielbar geworden." (S. 66-67)

© 2006, Suhrkamp Verlag, Frankfurt / M.

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Handkes Lesestücke

"SPUREN DER VERIRRTEN" oder "KALI Eine Vorwintergeschichte"

Beide Texte sind von Peter Handke; sein Verlag hat sie vor ein paar Tagen auf den Markt gebracht. Der eine von den beiden gibt sich als Theaterstück, der andere als Prosa. Liest man sie, egal in welcher Reihenfolge, fällt zuallererst der parallele Grundton auf. Ein Auktorialer (Handke) parlandiert. Bei 
"SPUREN DER VERIRRTEN"hat man ihn sehr schnell als Zuschauenden ausgemacht. In "KALI Eine Vorwintergeschichte" nicht viel anders. Hier wie da dient er, der Auktoriale, als das Sprachrohr seines Ich-Verfertigers. Ja und obgleich das Wörtchen "ich" fast nie oder so gut wie überhaupt nicht fällt, ist dieser Auktoriale (Handke) eine Krücke für den Leser. Kann er doch, der Leser, so am allerbesten spüren-fühlen-greifen, dass die Abläufe, um die's ihrem Beobachter (dem auktorialen Handke) ging oder zu gehen schien, vor allem seine zu beobachtenden waren oder sind. Und ich, der Leser, werde für die kurzweilige Zeit meiner Lektüre: Handke.
"KALI Eine Vorwintergeschichte" lässt mich in die Tiefe eines Salzbergwerks abtauchen. Und ich lese da von einer Opernsängerin, die sich in ihre Kinderwelt zurück begibt. Das Land ist mir zutiefst vertraut, es liegt im ostöstlichsten deutschen Osten, und es wird als "Toter Winkel" abgesteckt. Warum hat Handke seinen Weg dorthin gewollt? was war der Auslöser für seinen kurzen Abstecher in dieses Land?? wo lässt sich sein Befinden mit demjenigen der dieses Land Verlassenden oder Verlassenwollenden befestigen??? Alles so Fragen, die mir während meines Lesens kamen; und ich bin ein DDR-Kind; existierte dann die Vor-Geschichte jener Opernsängerin - die machte sich ja auf, um ihrer Mutter wiederzubegegnen - wirklich da in der von mir gedachten und gefühlten "alten" DDR-Gegend; ich kann auch sehr verirrt das Alles dann gelesen haben.

"SPUREN DER VERIRRTEN" nun, dieser vermeintliche Theatertext, geht viel viel weiter. Er umklärt einen Erfahrungshorizont eines als Zuschauer bzw. Zuschauenden vorqualifizierten Handlungs-Trägers. Er ist sozusagen Hauptperson in diesem Unstück. Er bemerkt es ausdrücklich an sich, aus sich heraus. So liest er sich, auf jeden Fall. Als Monologtext ist das Ganze aufgebaut. Der Monolog des zuschauenden Zuschauers... freilich nicht nur auf offner Bühne. Handke ist derjenige. Er lässt es seinem Leser wissen, es ist für ihn eingestanden, eine abgemachte Sache zwischen ihm & mir & uns. Zuschauen, das allein, ist hier gefordert und gefragt.

 

http://www.kultura-extra.de/theater/feull/peter_handke_spuren_der_verirrten_berliner_ensembel2007.php 



Peter Handkes SPUREN DER VERIRRTEN: Axel Werner (mit Napoleon-Hut) steht einer nachbarschaftlich zwielichtigen Szene zwischen Carmen-Maja Antoni und Ursula Höpfner als Beobachtender bei - Foto (C) Monika Rittershaus


Claus Peymann, der bereits das zehnte oder elfte Mal ein Stück von Peter Handke inszeniert, nimmt Handke als den Auktorialen wortwörtlicher Weise ernst, er macht ihn körperlich. Der Zuschauer, der Zuschauende (Handke) wird als Rolle, als Figur, als handelnde Person gegeben. Jene auktorialen Stellen dieses durchgehenden Prosatextes - alle handlungsfreien Stücke Handkes sind zugleich auch wunderbar gesetzte Prosatexte; dieser Trend, für/gegen das Theater anzuschreiben, wird in letzter Zeit auch immer mehr und immer wieder von der Jelinek'schen Stückästhetik aufgegriffen und bestätigt - werden dann auch 1:1 in praxi umgesetzt. Das nimmt der generellen Poesie dieser geheimnisvollen Arbeit ihren Wind. Es deckelt auf was eigentlich vor allgemeiner Neugier schützen sollte. Und es macht es auch den Darstellenden überhaupt nicht einfacher, hinter die milchstraßigen Läufte, die dem Zuschauer und Zuschauenden während seiner fast zwei Stunden dauernden Beobachtungen in den Sinn gekommen waren, zu gelangen. 

Episodensehen. 

Allgemeinerlebtes... hoch gekommne Szenenschnippselei. 

Kein noch so künstlich dargestellter Mensch, der jenem Zuschauer und Zuschauenden (Handke) wirklich was von sich und seinem Leben, etwas markig Einprägsames, dann verriete. 

Es ist nichts zum Spielen, nichts zum Nachgespieltsein. 

Peter Handkes Text erklärt sich allenfalls durch seine Poesie. 

Und hätte Peymann statt der 
"SPUREN DER VERIRRTEN" besser"KALI Eine Vorwintergeschichte" auf den Spielplan des BE gesetzt, es wäre ganz genauso ausgegangen. Keinem Ausführenden trifft die Schuld. Es war und bleibt ein schöner Ehrgeiz, Peter Handkes Lesestück geprobt zu haben.

 

 

Die Warte des Zuschauers

Peter Handkes "Spuren der Verirrten"

Von Klaus Bonn

  

Man hat Handkes Stücke oft als undramatisch eingestuft, die frühen Sprechstücke ebenso wie das spätere Dramatische Gedicht "Über die Dörfer" (1981) oder "Das Spiel vom Fragen" (1989). Undramatisch, weil dramatische Konflikte, ja überhaupt eine dramatische Handlungsführung darin nicht zu finden sei. Handke selbst sieht seine Stücke als "episches Theater", wie er einmal gesagt hat, und dabei ist an Brecht freilich nicht zu denken. Keine didaktischen Impulse, kein Thesen-Theater und schon gar kein Agitprop.

All diese stationär wirkenden Dramen seit "Über die Dörfer" kreisen um Figuren, die in einer Lebenskrise stecken, Verzagte, die von sich erzählen und solche, die zuversichtlich den Untröstlichen einen Schub geben, sie auf den Weg bringen. Unterwegs sind sie alle mehr oder weniger, Pilger im Dienst eines anderen Lebens. Pilgernde gibt es auch in "Spuren der Verirrten", jedenfalls eine Menge Menschen, die mal in der einen, mal in der anderen Richtung auf der Bühne in Bewegung sind, als kennten sie sich nicht recht aus und wüssten nicht, wohin sie der Aufbruch führen soll. Solcherlei zeigt sich als eine gleichsam dramatische Grundsituation, die einem auch aus Handkes Romanen vertraut ist. Jemand fällt aus seinem gewohnheitsstarren Lebenszusammenhang heraus, er wird auf eine Reise geschickt oder schickt sich selbst, ein Wandel ereignet sich mit ihm, und am Ende steht vielleicht gar eine Verwandlung, eine Anleitung hin zum richtigen Leben und Tun.

Dieser Grundzug durchweht auch "Spuren der Verirrten", so dass man, verstimmt ob solcher Wiederholungslitanei, das Büchlein nach flüchtigem Durchblättern rasch beiseite legt. Man kann aber auch, einmal ungeachtet jener konstant bleibenden Grundtendenz Handke'scher Prägung, Differenzen ausmachen zu früheren Stücken und den schmalen Text, nach anfänglichem Missmut über den getretenen Quark, wieder hervorholen und im bedächtigen Lesen schätzen lernen. "Spuren der Verirrten" dürfte das erzählerischste Stück sein, das Handke bislang verfasst hat. Es gibt keine dramatis personae im strengen Sinn, wenn auch manche der namenlosen Figuren aus der vorbeiziehenden Menge noch daran erinnern, wie der "Dritte", eine Art Mentor oder geistiger Leiter der Gruppe, und der "Möchtegern-Held". Erzählt wird das Ganze von einem Ich, erklärtermaßen dem Zuschauer des Geschehens, der gleich zu Beginn von sich sagt: "Seit jeher habe ich nichts getan als zuschauen. Und inzwischen ist das meine Rolle geworden."

Das ist nicht neu bei Handke und könnte auch für die eine oder andere Figur aus seinen Romanen gelten. "Das Zuschauen" - hat Handke in einem Gespräch mit Peter Hamm bekräftigt - "ist etwas, das wir alle brauchen [...], daß uns jemand zuschaut auf eine umfassende Weise, wie man sich vielleicht das von Gott vorstellt, [...]." Kein Voyeurismus also. Das Zuschauen ist die bevorzugte Tätigkeit, die einer Handke-Figur angedichtet werden kann. Im vorliegenden Fall lässt der Zuschauer die aus Paaren gefügte Menge an sich vorüberziehen. Dass sie zu einer neuerlichen Arche unterwegs wären, um vor einer neuerlichen Sintflut gerettet zu werden, wird nicht gesagt, aber auch nicht bestritten. Aus der Menge, die zunächst ohne Sprache daherzieht, werden dem Zuschauer allmählich Gesprächsausschnitte vernehmbar, wie früher schon den beiden Engeln die Selbstgespräche im Film "Himmel über Berlin". Was da geredet wird, manchmal wie ein Schlagabtausch, kommt zuweilen vor, als sei es montiert aus Übrigbleibseln, die in die Prosaarbeiten nicht hineinpassen wollten, Schlacken der Prosa.

Die lange Rede dann des "Dritten", der als Leitfigur für die anderen gegolten hatte, führt zu einer Wende in dem Stück. Also doch ein dramatischer Kunstgriff, eine Weise der Peripetie. Hatte sich bis dahin eine allgemeine Trostlosigkeit breit gemacht, so kündet jetzt dieser lange Monolog vom Ende der Zeit, einer kurz bevorstehenden Menschheitsdämmerung. Solch apokalyptische Stimmung löst eine heillose, letztlich aber doch heilsame Verwirrung aus, die selbst auf den Sprachakzent abfärbt. Nicht die Vermessenheit, sondern die Hoffnungslosigkeit der Menschen ist es hier, welche die Sprache verwirrt. Erst als der "Möchtegern-Held" über die "gemeinsame [...] Tragödie des gemeinsam zum Schattendasein Verurteiltseins" lamentiert, schreitet der Zuschauer ein. Da sollen freundlichere Töne angestimmt werden. "Schluß also mit dem tragischen Gehabe. Tragödien, solche oder solche, gibt es nach dem neuesten Stand der Forschung nicht mehr."

Er hätte auch sagen können: Ihr müsst nicht noch Theater machen, wenn sowieso schon alles Theater ist. Die Ansprache des Zuschauers revidiert den Glauben an ein Ende der Zeit zugunsten der "Spielzeit". Und dann spricht er schließlich jenen Kernsatz aus, der als Motto für das ganze Stück zu lesen wäre: "Könnte nicht ein jeder von euch noch und noch Geschichten erzählen, wie sich das Blatt gewendet hat - und nicht immer zum Bösen - dadurch, daß er als Zuschauer wirkte, als Zuschauer tätig war?"

Das Drama soll zur Erzählung werden. Die Worte scheinen bei denen auf der Bühne zu fruchten, fangen manche doch tatsächlich an, von sich zu erzählen. Die Zuversicht, das uneingeschränkte Ja zum Weitergehen und Sichverirren hält aber nicht lange vor. Die beständige Verirrung ist doch nur Trug, das Gehen bloß ein Trott, auch wenn Handke das so ausdrücklich nicht bestätigt haben möchte. Handkes Stück lebt gewiss nicht von der Botschaft seiner Zuschauer-Figur, sich im Spiel zu ergehen und nicht so schwarz zu sehen. Einmal lässt er eine Frau ausrufen, als sei sie eine Komparsin des Zuschauers: "Schluß mit den Dramen. Das Leben soll erscheinen."

Das klingt banal und pathetisch zugleich. Es zeigt sich nachgerade in den vielen kleinen Dialogauszügen, dass das Dramatische unweigerlich im Alltäglichen steckt wie der Wurm, man muss nur einen Blick dafür gewinnen. Der Zuschauer verkörpert den Idealtypus des sammelnden Erzählers, und wenn die Erzählbarkeit zu verschwinden droht, ist es seine Aufgabe, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Ohne die Funktion einer bündelnden Aufmerksamkeit des Zuschauers gäbe es keine Berechtigung für die knappen, mal lakonisch heiteren, mal in fast heilig zu nennendem Ernst daherkommenden Dialog- und Monologszenen, die den eigentlichen Wert und die Qualität des Stücks ausmachen. Mancher Leser mag sich erfreuen an den Anspielungen, die nicht selten darin aufgehoben sind. Etwa wenn der "Möchtegern-Held" von sich selbst sagt: "Was mich überleben wird: mein dummes Gesicht über der Kante zum Abgrund. Und die Scham, daß mein Fall auch noch Zuschauer hat." Da wird Kafkas Josef K. eine tragikomische Referenz erwiesen. Alles ist Spiel, Theater, das in den namenlosen Figuren aufgefächerte Alltägliche nimmt in der Sprache, einer Sprache, die stets den Keim zum Erzählen in sich trägt, Gestalt an und seinen Lauf.

"Spuren der Verirrten" ist kein Sprechstück, wie auch immer es auf der Bühne gelingen mag, die Figuren und ihre Sprache tatsächlich zu verkörpern. Ein Lesestück ist es durch seinen Erzählgestus allemal.


Titelbild