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EURIPIDES' helena in a HANDKE adaptation TRANSLATION


 

EURIPIDES HELENA HANDKE TRANSLATION BURGTHEATER BONDY

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Voraufführung
An den Haaren hat Menelaos nach der zehnjährigen Schlacht um Troja seine ungetreue Ehefrau Helena aus der zerstörten Festung auf sein Schiff geschleift. War sie doch der Grund für den Tod zahlloser Helden auf beiden Seiten. Aber auch die Heimfahrt brachte neues Elend

Die Winde warfen sie von Küste zu Küste, bis das Schiff schließlich vor der ägyptischen Insel Pharos zerschellte und Menelaos, Helena und einen Rest der Mannschaft an Land spülte. Er versteckte alle in einer Höhle und machte sich auf die Suche nach Hilfe.
Da trifft er auf eine Frau, die aussieht wie Helena und auch behauptet, es zu sein. Nur ein Abbild von ihr sei von den Göttern nach Troja geschickt worden. Sie sei schuldlos am Krieg. Menelaos kann und will es nicht glauben: er und seine Mitstreiter sollen zehn Jahre um ein Schemen gekämpft haben!? Und doch ähnelt die Fremde seiner Frau bis aufs Haar, Menelaos gerät in höchste Verwirrung, bis ein Matrose ihm berichtet, die Helena in der Höhle habe sich in Luft aufgelöst. Das Ehepaar fällt sich in die Arme und sieht sich vor einem neuen Problem: Der Herrscher der Insel ist leidenschaftlich für Helena entbrannt. Wieder droht ihre Schönheit ihr zum Verhängnis zu werden. Da entwirft sie einen Plan, der sie doch nicht ganz so schuldlos erscheinen lässt, wie sie gern gesehen werden möchte...


 

 


Voraufführung
An den Haaren hat Menelaos nach der zehnjährigen Schlacht um Troja seine ungetreue Ehefrau Helena aus der zerstörten Festung auf sein Schiff geschleift. War sie doch der Grund für den Tod zahlloser Helden auf beiden Seiten. Aber auch die Heimfahrt brachte neues Elend

Die Winde warfen sie von Küste zu Küste, bis das Schiff schließlich vor der ägyptischen Insel Pharos zerschellte und Menelaos, Helena und einen Rest der Mannschaft an Land spülte. Er versteckte alle in einer Höhle und machte sich auf die Suche nach Hilfe.
Da trifft er auf eine Frau, die aussieht wie Helena und auch behauptet, es zu sein. Nur ein Abbild von ihr sei von den Göttern nach Troja geschickt worden. Sie sei schuldlos am Krieg. Menelaos kann und will es nicht glauben: er und seine Mitstreiter sollen zehn Jahre um ein Schemen gekämpft haben!? Und doch ähnelt die Fremde seiner Frau bis aufs Haar, Menelaos gerät in höchste Verwirrung, bis ein Matrose ihm berichtet, die Helena in der Höhle habe sich in Luft aufgelöst. Das Ehepaar fällt sich in die Arme und sieht sich vor einem neuen Problem: Der Herrscher der Insel ist leidenschaftlich für Helena entbrannt. Wieder droht ihre Schönheit ihr zum Verhängnis zu werden. Da entwirft sie einen Plan, der sie doch nicht ganz so schuldlos erscheinen lässt, wie sie gern gesehen werden möchte...








Trugbild. Der modern anmutende Gedanke, dass der Trojanische Krieg um ein Trugbild geführt wurde, könnte allerdings auch für Euripides nicht ganz neu gewesen sein. In Legenden wurde schon erwähnt, Paris sei mit einem Phantom getäuscht worden, Helena daher von der Schuld des Ehebruchs befreit. Euripides, immer an Neudeutungen des Mythos interessiert, dürfte das aufgegriffen haben. „Er hat ja auch aus Legenden geschöpft, als Version gab’s die Geschichte schon“, meint Handke. „Aber Euripides hat sie sicher zum ersten Mal als Drama ins Zentrum der Welt, das damals Athen war, gestellt. Wie bei allen großen Geschichten gibt’s dann immer Zweifelhaftes. Wie man bei Marilyn Monroe fragt, ob sie wirklich Selbstmord begangen hat oder womöglich umgebracht wurde. Bei Gestalten wie Helena oder Marilyn gibt’s dann eben Apokryphen.“



Zu einem schmerzlichen Fall, vor allem für die beiden Protagonisten Peter Handke und Claus Peymann, ist eine Auseinandersetzung über Handkes neues Stück Immer noch Sturm geworden. Die Familiengeschichte, ein „historisches Traumspiel über den Kärntner Widerstand“, wie sie der Dichter einmal charakterisierte, hätte im Februar 2011 in Peymanns Inszenierung mit Gert Voss in der Hauptrolle im Burgtheater uraufgeführt werden sollen. Als Kooperation mit dem Berliner Ensemble. Nun kam Anfang Mai die lapidare Meldung aus dem Berliner Ensemble, dass die „jahrzehntelange, bis jetzt elf Uraufführungen umfassende Zusammenarbeit des Regisseurs mit dem Schriftsteller“ für dieses Stück „unterbrochen“ werde. Ausschlaggebend für „die bedauerliche Entscheidung“ seien „unterschiedliche Erwartungen an die Ästhetik der Inszenierung, aber auch dispositionelle Fragen der Realisierung“ gewesen.


Voreiligkeit. „Peymann hat es sehr diplomatisch ausgedrückt, aber nicht unwahr, dass es ästhetische Gründe waren, die uns getrennt haben“, erklärt Handke, der gleichzeitig auch eine „große Traurigkeit“ betont. „Im Grund stimmt’s allerdings doch wieder nicht, das Ästhetische. Es war mir viel zu schnell sozusagen ‚gemacht‘. Ich hab’ noch an dem Stückgearbeitet, da gab’s schon eine gewisse Voreiligkeit, dass man bestimmt, wer das macht und wie das gemacht wird. Es war eigentlich fast nie die Rede von dem, worum’s da in diesem Stück geht, sondern nur von Taktik und Strategie und wie macht man das und wo. Das ist natürlich nicht allein Claus Peymanns Problem, sondern das Theater funktioniert heute so. Über das Eigentliche, das Stück, über die Art der Geschichte und wie sie erzählt werden soll, wird überhaupt nicht gesprochen.“









 

 

 

 

 

 

 

 


Die Idee klingt reizvoll: Es war gar nicht die schöne Helena, die Paris nach Troja entführte, sondern eine andere, ihm unter geschobene Schönheit. Der Trojanische Krieg entbrannte also um ein Phantom. Von dieser Täuschung geht das kaum gespielte Drama Helena aus, das erstaunlicherweise von keinem Geringeren als Euripides stammt. Peter Handke bekam den Tipp zur Lektüre vor einiger Zeit von dem Germanisten Wendelin Schmidt-Dengler, das seltsame Werk gefiel ihm. Dann schalteten sich noch die guten Geister des Zufalls ein und nuninszeniert Luc Bondy seine Übersetzung am Burgtheater als Koproduktion mit den Wiener Festwochen.

Anstoß. „Ich habe zunächst nicht weiter an das Stück gedacht, weil so vor mich hin zu übersetzen, war mir doch etwas unsicher“, bekennt Handke. „Da erzählt mir eines Tages Luc Bondy, dass er gerade die Helena liest. Und da habe ich mir insgeheim gedacht, Mensch, das wär’ eigentlich ganz schön, wenn er mir einen Anstoß zur Übersetzung gäbe. Aber ich hab’ das nicht so offen gesagt, wir haben uns nur über das Stück unterhalten.“ Einige Zeit verging, da meldete sich Bondy wieder und schlug ihm vor, das Stück zu übersetzen. „Er hat für einen Auftrag gesorgt und ich hab’ mich dann, vergangenen Sommer und Herbst, ans Übersetzen gemacht. Ganz still, im Garten, mit einem sehr alten Wörterbuch von einem Altösterreicher aus dem Jahr 1886.“

Handke erzählt, dass er – „außer ein paar Gedichten aus dem Slowenischen von meinem Freund Gustav Janus“ – etliche Jahre nichts mehr übersetzt hat. Zuletzt den Ödipus auf Kolonos, den Klaus Michael Grüber im Burgtheater inszenierte. „Das ist aber auch schon fast zehn Jahre her“, sagt er. „Die Helena hab’ ich, so weit es ging, wörtlich übersetzt, jedes griechische Wort auf mich einwirken lassen, auch die Wendungen.“

Fremde Bilder. Dem Wörterbuch von 1886 verdankt er dabei viel. „Da sind wirklich fast alle schwierigen Wendungen zu finden. Auch von Helena. Der Autor hat alle griechischen Klassiker durchforstet, von der Ilias, der Odyssee über Pindar bis zu den großen griechischen Tragödien. Es begleitet mich seit dreißig Jahren, ich weiß gar nicht mehr, wer mir das gegeben hat.“ So sehr er sich ums wörtliche Übersetzen bemühte, bei manchen fremd wirkenden Metaphern hielt er sich zurück. „Wenn es
ein griffiges oder, besser, zu ahnendes Bild, ein Bild mit starken Konturen gibt, dann habe ich das fremde Bild gelassen. Das ist ja das Schöne am Übersetzen.“

Das Werk, eine Tragödie, der das eigentlich Tragische fehlt, wird von den Literaturwissenschaftlern als „Romanze“ eingestuft. „Es ist ein gebrochenes Stück“, sagt Handke. „Die erste Hälfte handelt von Sein und Schein. Von der Frage: Was ist eine Frau? Wenn man eine Frau hat – hat man sie? Ist sie nur ein Bild? Oder gar eine Wolke? Zum ersten Mal in der Dramenliteratur wird das wirklich durchgespielt. Der zweite Teil ist dann ein richtiges Action-Stück: Wie kommt die wirkliche Helena, die in Ägypten verschwunden war, mit ihrem Menelaos heim? Wie macht man das? Da wird’s ein richtiges Drama. Das finde ich sehr schön: Zuerst wirkt es fast philosophisch – was ist wirklich? Und dann – wie kommt man heim?“

Trugbild. Der modern anmutende Gedanke, dass der Trojanische Krieg um ein Trugbild geführt wurde, könnte allerdings auch für Euripides nicht ganz neu gewesen sein. In Legenden wurde schon erwähnt, Paris sei mit einem Phantom getäuscht worden, Helena daher von der Schuld des Ehebruchs befreit. Euripides, immer an Neudeutungen des Mythos interessiert, dürfte das aufgegriffen haben. „Er hat ja auch aus Legenden geschöpft, als Version gab’s die Geschichte schon“, meint Handke. „Aber Euripides hat sie sicher zum ersten Mal als Drama ins Zentrum der Welt, das damals Athen war, gestellt. Wie bei allen großen Geschichten gibt’s dann immer Zweifelhaftes. Wie man bei Marilyn Monroe fragt, ob sie wirklich Selbstmord begangen hat oder womöglich umgebracht wurde. Bei Gestalten wie Helena oder Marilyn gibt’s dann eben Apokryphen.“

In Helena, in diesem Fall tugendhafte, liebende Ehefrau, sieht Handke eine Art „weiblichen Odysseus“. „Es ist schon sehr listenreich, wie sie es einfädelt, dass sie mit Menelaos nach Hause kommen kann. Es hat auch komödiantische Züge, wie die beiden den jungen König von Pharos hineinlegen: Menelaos, zuerst selbst schiffbrüchig, spielt dann einen anderen Schiffbrüchigen, um den eigenen Tod zu verkünden, und Helena beweint ihren Gatten, der scheint’s tot ist, und gaukelt dem König vor, ihn heiraten zu wollen. Das macht sie alles schon sehr schlau.“

Der Helfer. Ein Problem vermutet er dagegen bei den Chorliedern. Allerdings ein sehr schönes. „Jedes große Problem in der Form ist ein schönes Problem. Ich bin neugierig, wie Luc Bondy das lösen wird. Er hatte ja eine sehr schöne Idee mit Anja Silja, dass der Chor nur ein Mensch ist, eine Sängerin, aber das ist dann aus verschiedenen Gründen nicht zustande gekommen.“ Jedenfalls sieht er in dem Chor den „großen Beistand, den Helfer, den Dramaturgen“. „Er zieht zwar nicht die Fäden, dazu hat er nicht die Macht, aber er zeigt, wie’s weitergehen könnte. Euripides hat für ihn unglaublich schöne Passagen über das Leben, über das Schicksal und über die Götter geschrieben. Ob nicht die Götter auch ganz machtlos sind – das ist einfach wunderschön.“

Zu einem schmerzlichen Fall, vor allem für die beiden Protagonisten Peter Handke und Claus Peymann, ist eine Auseinandersetzung über Handkes neues Stück Immer noch Sturm geworden. Die Familiengeschichte, ein „historisches Traumspiel über den Kärntner Widerstand“, wie sie der Dichter einmal charakterisierte, hätte im Februar 2011 in Peymanns Inszenierung mit Gert Voss in der Hauptrolle im Burgtheater uraufgeführt werden sollen. Als Kooperation mit dem Berliner Ensemble. Nun kam Anfang Mai die lapidare Meldung aus dem Berliner Ensemble, dass die „jahrzehntelange, bis jetzt elf Uraufführungen umfassende Zusammenarbeit des Regisseurs mit dem Schriftsteller“ für dieses Stück „unterbrochen“ werde. Ausschlaggebend für „die bedauerliche Entscheidung“ seien „unterschiedliche Erwartungen an die Ästhetik der Inszenierung, aber auch dispositionelle Fragen der Realisierung“ gewesen.

Für Peymann sicherlich ein schwerer Schlag, war er doch maßgeblich an der „dramatischen“ Karriere Handkes beteiligt. Mit der von ihm in Frankfurt uraufgeführten Publikumsbeschimpfung hatte Handke 1966
seinen Durchbruch als Autor und vorerst auch als Enfant terrible geschafft. Kaspar, 1968 wiederum in Peymanns Uraufführungs-Inszenierung in Frankfurt vorgestellt, festigte seinen Ruf. Erst dann reüssierte er auch mit seiner Prosa. Und Peymann hielt ihm in schöner Kontinuität am Burgtheater und später am Berliner Ensemble immer wieder mit Uraufführungen die Treue.
hele
Voreiligkeit. „Peymann hat es sehr diplomatisch ausgedrückt, aber nicht unwahr, dass es ästhetische Gründe waren, die uns getrennt haben“, erklärt Handke, der gleichzeitig auch eine „große Traurigkeit“ betont. „Im Grund stimmt’s allerdings doch wieder nicht, das Ästhetische. Es war mir viel zu schnell sozusagen ‚gemacht‘. Ich hab’ noch an dem Stückgearbeitet, da gab’s schon eine gewisse Voreiligkeit, dass man bestimmt, wer das macht und wie das gemacht wird. Es war eigentlich fast nie die Rede von dem, worum’s da in diesem Stück geht, sondern nur von Taktik und Strategie und wie macht man das und wo. Das ist natürlich nicht allein Claus Peymanns Problem, sondern das Theater funktioniert heute so. Über das Eigentliche, das Stück, über die Art der Geschichte und wie sie erzählt werden soll, wird überhaupt nicht gesprochen.“

Handke räumt ein, dass er, weil ihn Peymann ständig mit Gastspiel- und Schauspielerproblemen konfrontierte, überreizt war. „Ich hab’ mich nicht über ihn geärgert, aber gedacht, man hätte sich viel mehr Zeit lassen sollen, bis das Stück wirklich da ist. Ich hänge sehr daran und bin es noch öfters durchgegangen. Nach der endgültigen Überarbeitung hab’ ich es eigentlich erst jetzt das erste Mal gelesen und bin recht froh darüber. Ich bin selber bewegt von ihm.“ Er erzählt mit diesem Drama ja eine Kärntner Familiengeschichte aus der Zeit des Nationalsozialismus, sicherlich mit biografischen Zügen seiner slowenischen Vorfahren im Widerstand, von Partisanen, von Mutigen, Gleichgültigen und Schwachen.

Bilder von damals. „Ich weiß jetzt wirklich nicht, wie’s weitergehen soll“, sagt er. „Für eine erste Aufführung wäre Österreich unbedingt der geeignete, ja notwendige Ort. Sogar essenziell. Jetzt muss man neu zu denken anfangen. Ich möchte aber wirklich, dass das jetzt einmal richtig gelesen wird. Wie auch immer Theaterleute lesen ...“ Dann fügt er plötzlich hinzu: „Salzburg wäre schön, vielleicht mit Wim Wenders. Ich hab’ so eine schöne Erinnerung an "Über die Dörfer", inszeniert von Wenders bei den Festspielen. Das war so intensiv und ruhig zugleich. Ich kann mich an die Felsenreitschule erinnern, wenn da die Sonne auf die Szene geschienen hat. Das geht mir nicht aus dem Sinn. Das sind so Bilder von damals. Das kann man aber nicht wiederholen.“

Die Frage, ob er sich nun prinzipiell wieder verstärkt dem Theater zuwenden wolle, wehrt Handke geradezu mit Schrecken ab. „Nein, nein! Sicher nicht! Es ist mir nicht gerade etwas Fremdes, aber gewiss nicht mein tägliches Leben. Mein Innerstes gehört der Prosa. Nur manchmal macht es mir eben Freude, Stücke zu schreiben. Das ist meine Art von Forschung. Stücke schreiben bedeutet für mich erforschen, wie redet man, wie kommen Situationen zustande, wie erzählt man eine Geschichte durch Sprechen und Schweigen und wie ist das Verhältnis von Raum und Zeit. Aber ich will da jetzt keine Dichtervorlesung halten.“

 Tragisch, sehr tragisch! Komisch, sehr komisch! Das sind die wechselnden Grundstimmungen der "Helena"-Inszenierung von Festwochen-Intendant Luc Bondy, die am Mittwochabend im Wiener Burgtheater Premiere hatte. Peter Handke hatte das fast vergessene Euripides-Drama, das den alten Mythos der "ägyptischen Helena" als Mischung aus Götterspaß und Ehedrama erzählt, neu übersetzt.

Nach zwei Stunden und zwanzig Minuten, in denen es viel Text, aber kaum Handlung gab, war man sich nicht sicher, ob sich diese Wiederentdeckung tatsächlich gelohnt hat. Wirklich beeindruckend fiel einzig Karl-Ernst Herrmanns souveräner Bühnenbild-Wurf aus.

Herrmann lässt einen schier endlosen Leuchtstab das gesamte Theater durchqueren. Von der Decke des Zuschauerraums führt er bis zum hintersten Bühnenboden, Symbol der Verbindung zwischen Götter- und Menschenwelt, die im Stück wiederholt angesprochen wird. Der mit einem Griechen-Schiff an Ägyptens Küste an Land gespülte Menelaos (Ernst Stötzner) muss erkennen, dass der ganze Kampf um Troja um ein Trugbild der Helena geführt wurde. Die echte Gattin (Birgit Minichmayr) weinte sich unterdessen in Ägypten die Augen aus dem Kopf und verstand die Welt nicht mehr. Ähnlich geht es nun Menelaos, der sich gefoppt fühlen muss, und erfährt, dass jene, die er aus Troja geraubt zu haben glaubt, sich soeben in Luft aufgelöst hat.

Was sich in diesem Ambiente abspielt, hält mit der starken Bilder-Setzung leider nicht mit. Handkes Übersetzung hat gewiss ihre Reize und auch manche schöne Formulierung. Die hohe, hehre Sprache, die gelegentlich von heutig klingenden Formulierungen durchbrochen wird, hat eine Gestelztheit, die es nicht leicht macht, wirklich mit den von Götterlaunen Gebeutelten mitzufiebern - zumal viel geredet wird und wenig geschieht.

Johann Adam Oest muss den ägyptischen König Theoklymenos, der bereits fix mit der Ehelichung Helenens rechnen durfte, als einfältigen Tor anlegen. Oest versucht ebenso wie Minichmayr und Stötzner, aber auch Andrea Clausen, Libgart Schwarz, Branko Samarovski, Markus Hering oder Dietmar König in diversen Nebenrollen, nach Kräften das Beste daraus zu machen. Eine wirkliche Einheit entsteht daraus nicht. In den ausgiebigen Premieren-Schlussapplaus um das Ensemble mischten sich gestern bei Bondy auch ein paar Buhs.

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VARIOUS REVIEWS

 



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Subject: WEINZIERL - HELENA
Date: Fri,
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Troja oder ein Krieg um nichts

Peter Handke übersetzt die "Helena" des Euripides - und Luc Bondy inszeniert sie in Wien als glanzvolles Boulevardstück

VON ULRICH WEINZIERL

Die Dame ist, so war es in der Antike Brauch und Sitte, bedenklicher Herkunft: aus einem Ei geschlüpft. Notgeil hatte Göttervater Zeus im Schwanenkleid ihre Mutter Leda geschwängert. Doch sprichwörtliche Schönheit trug der Frucht überirdischer Sexualität üblen Leumund ein. "Bewundert viel und viel gescholten", heißt es noch bei Goethe. Immerhin galt Helena, die von Paris dem Gatten Menelaos geraubt und nach Troja entführt worden war, als Verursacherin des Trojanischen Kriegs. Grund genug zur Klage: "Das Ärgste weiß die Welt von mir, und ich / Kann sagen, ich bin besser als mein Ruf". Das behauptet zwar eine andere Königin, nämlich Schillers Maria Stuart, es könnte aber auch von Euripides oder Peter Handke stammen. Der hat dessen Tragödie "Helena" neu übersetzt: in silbengenaue, rhythmisierte Sprache samt kleinen verbalen Ausflügen in unsere Tage, solcher Art das ganz Alte mit der Gegenwart versöhnend.

Bei Lichte betrachtet, ist die "Helena" des Euripides, die eine minder populäre Version des Mythos erzählt, keine Tragödie. Und nicht allein, weil alles gut ausgeht: Das wiedervereinte hohe Paar Helena und Menelaos segelt schließlich, von sanften Winden und Wellen geschaukelt, Richtung Griechenland - Heimkehr nach einer weiblichen Odyssee von nicht weniger als siebzehn Jahren. Denn im Drama steckt auch ein Täuschungslustspiel, in mehrfacher Hinsicht: Die gestohlene Helena war hier gar nicht die echte, nur ein holder Schemen, von Göttinnenmissgunst erzeugtes Wolkenluftgebilde. Während sich Paris mit einem Phantom begnügen und vergnügen musste, während Troja in Flammen stand und Abertausende fielen, lebte die leibhaftige, die tugendreine Helena an Ägyptens Gestaden, wohin sie der himmlische Postbote Hermes verfrachtet hatte. Also wurde der männermordende Krieg um Troja völlig umsonst geführt. Auf diesen Mythenstrang stützte sich nicht zuletzt auch die Oper von Hofmannsthal und Richard Strauss: die Geschichte der "Ägyptischen Helena". Der Rest ist Operette, von Jacques Offenbach.

Das Wesentliche, den zweiten Teil von Euripides' Stück Beherrschende entspringt der List der Helena: Um den Avancen von Ägyptens König Theoklymenos zu entgehen und gemeinsam mit ihrem wieder gefundenen, tot geglaubten Mann zu entkommen, spielt dieser einen Augenzeugen, der von Menelaos' Sterben berichtet. Helena, plötzlich verzweifelt trauernde Witwe, will dem angeblich Ertrunkenen die Ehre einer symbolischen Seebestattung erweisen - dann würde sie Theoklymenos erhören. Naturgemäß kann der ihr in seiner erotischen Vorfreude den frommen Wunsch nicht abschlagen. Die Trauerbarke verwandelt sich für Helena und Menelaos in ein Hochzeitsschiff.

Dass im Zuge der sehr unfreundlichen Übernahme des Bootes durch die Griechen eine Menge Leute draufgegangen sind, ist aus der Perspektive des Altertums nichts als ein Kollateralschaden: Euripides & Co. erwogen nebenbei die These, die Götter hätten das Gemetzel um Troja entfacht, damit "Mutter Erde" von der "gar zu zahlreichen Masse Mensch" erleichtert werde. Ein frühes Beispiel des Kampfs gegen die Bevölkerungsexplosion.

Für die Wiener Festwochen, im Burgtheater zu Gast, inszeniert Luc Bondy die "Helena" à la Handke heiter und hell, teils näher bei Offenbach als bei Euripides: eine beschwingte Salonkonversationskomödie, gleichsam antiker Edelboulevard. Freilich, trotz aller ironischen Brechung, mit tieferer Bedeutung. Schon Karl-Ernst Herrmanns elegante Bühne wirkt wie ein später Gruß der zitatfreudigen Postmoderne: Ein Bücherturm und ein Spalier von Bibliothekstischchen zur Linken, zur Rechten Sand und Strand. Der gestirnte nächtliche Himmel verleiht dem Meereshorizont Silberschimmer. In der Mitte, wohl Hommage an Vater Nil, eine Nirosta-Rinne, durch die bei Bedarf, weil wir ja nicht im Paradiese, sondern im ägyptischen Exil sind, statt Milch und Honig Wasser und Blut fließen: in eine Zisterne, die das Grabmal des Proteus birgt. Der hatte - anders als sein ordinärer Sohn Theoklymenos - die Asylantin Helena aufgenommen, ohne sie zu bedrängen.

Aus dem Chor machte Bondy eine Truppe quirliger College-Mädel. Vergeblich bemüht sich deren orientalische Klänge produzierende Aufseherin um Ruhe und Ordnung: Mal beraten die Literaturstudentinnen Helena, mal flattern sie durcheinander wie ein Lachtaubenschwarm, mal verhöhnen sie Theoklymenos.

Bondys Helena aber ist Birgit Minichmayr, der Star des Abends. Mit Faust zu sprechen, wenn er Helena im Zauberspiegel erblickt: "Ist's möglich, ist das Weib so schön?" Die Minichmayr präsentiert das Virtuosenrepertoire ihrer Töne, Blicke und Gesten - von der gealterten höheren Tochter über die Liebende bis zum Weibsteufel in raffinierter Naivität. Stets ist sie ungemein intensiv, was die jeweilige Situation erfordert: mondäne Langeweile, Schmerz, Tücke, das Aufblitzen des Glücks. Dem Recken Menelaos, von Ernst Stötzner in seiner Beschränktheit scharf konturiert, ist diese Frau weit überlegen. Ein ehrpusseliger Gefangener der eignen Heldensaga. Johann Adam Oest erinnert als Theoklymenos - wie so oft - an eine Mischung aus Thomas Mann und Professor Unrat: Würde auf Abwegen der Unzucht. Wunderbar Andrea Clausens Seherin Theonoe, die schlangengleich, ein Wesen urweltlichen Wissens, über den Boden kriecht. Glänzend auch die herzlich finstere Türhüterin von Libgart Schwarz und Branko Samarovskis Bote. Er humpelt wie ein Schwerstkrüppel und redet wie ein Nestroyscher Hausknecht.

Den Schlusspunkt setzt ein Doppelschlag. Kastor und Pollux, Helenas Brüder, stürzen als Meteoriten mit großem Krach auf die Bühne. Die Götter haben gesprochen: Helena und Menelaos gehören zusammen. Wäre da nicht die ins Dunkel huschende Gestalt des Truggespinsts der falschen Helena. War alles nur ein Traum? Auch die Treue ist ein Mythos.

Termine: 11.-13., 15.-17., 19. Juni; Karten: (0043 1) 589 22 22 

 

 

 

"Helena" im Burgtheater: Euripides dichtete, Peter Handke übersetzte neu und Luc Bondy inszenierte

Im Scheinwerfer der Langeweile

Glanzlichter eines lauen Theaterabends: Birgit Minichmayr in der Titelrolle und Johann Adam Oest als ägyptischer Regent. Foto: apa/Techt

Glanzlichter eines lauen Theaterabends: Birgit Minichmayr in der Titelrolle und Johann Adam Oest als ägyptischer Regent. Foto: apa/Techt

Von Judith Schmitzberger

Aufzählung Es ist viel Zeit vergangen seit dem Trojanischen Krieg. Sehr viel. Und mitunter hörte man sie aufdringlich laut ticken im Burgtheater. Immer dann, wenn nicht gerade Birgit Minichmayr als erfrischend aufgeklärte Helena vom schleppenden Dahinstreichen dieses Abends ablenkte. Oder Johann Adam Oest der schönen Helena – wahlweise auch allen anderen weiblichen Wesen auf der Bühne – geifernd nachstellte und sich durch seine vom Trieb verblendete Weltsicht blenden ließ.

Außer ein paar herausragenden Schauspielerleistungen bleibt jedenfalls nicht viel von der jüngsten Festwochen-Produktion im Burgtheater. Peter Handke hat ein – nicht nur zu Unrecht – in Vergessenheit geratenes Stück von Euripides neu übersetzt. Festwochen-Intendant Luc Bondy hat sein Ensemble mehr oder weniger vom Blatt spielen lassen. Warum er dieses Stück zeigt, erläutert der Regisseur mit dieser Arbeit nicht. Die Figuren führt er möglichst dramatisch und erhaben, möglichst ewig gültig und zugleich heutig – möglichst langatmig ist mitunter das Resultat.

Euripides beleuchtet den ewigen Griechen-Stoff von einer ungewohnten Perspektive: Die schöne Helena ist in Ägypten und wartet am Hof von Theoklymenos auf die Rettung durch ihren Gatten Menelaos. Dem ist sie stets treu gewesen, denn Paris hat lediglich ein aus Wolken geschaffenes Abbild der Schönsten geehelicht.

Also sitzt Helena im Exil, beklagt ihr Los und versucht, dem Werben des Herrschers zu entkommen. Menelaos kommt schließlich, und durch eine List können die beiden in die Heimat fliehen.

Peter Handke hat versucht, dem Text seine antike Kraft und herbe Poesie zu lassen und aktualisierte, salopp zugespitzte Versatzstücke einzubringen. Dabei gelingen ihm einige schöne Sprachbilder. Ein homogenes oder gar in den Bann ziehendes Ganzes ergibt es nicht. Wie die Handlung selbst pendelt auch in Handkes Fassung etwas unentschlossen zwischen Tragik und Komik.

Im Zweifelsfall für beides

Luc Bondy hat sich in dieser Frage für beides entschieden – er spitzt sowohl die tragischen als auch die komischen Momente zu. Überzeichnet Lust und Leid. Dazwischen klafft ein großes szenisches Nichts. Die Bühne von Karl-Ernst Herrman bindet der Regisseur kaum ein, sein extravaganter Entwurf lässt ratlos zurück.

Ein gigantischer Leuchtstab durchkreuzt Zuschauerraum und Bühne. Er trennt die Spielfläche, die weit ins Parkett hineinreicht, in zwei Teile – Bücherturm und Lese-Tische auf der einen Seite; Sand, Erde und ein Boot auf der anderen. Durch eine Rinne fließt wahlweise Wasser und Blut. Kultiviertheit trifft Naturgewalt – was er damit genau sagen will, erläutert Bondy nicht. Ebenso wenig, warum es auch im Publikum den ganzen Abend über hell bleibt. Irgendwann ertönt lautstark "Wild Thing", und zum Finale schrammt die Produktion an der Lächerlichkeit, wenn zwei blitzende Felsen vom Himmel fallen und den finalen Urteilsspruch verkünden.

Der zweieinhalbstündige Abend steht und fällt also mit den großteils sehr guten Darstellern. Birgit Minichmayr zeigt eine bewusste, liebende und listige Helena. In ihren Monologen wird klar, wie absurd es ist, eines Namens wegen Krieg zu führen. Johann Adam Oest sorgt als geiler, gieriger Herrscher für grotesk komische Momente. Ernst Stötzner ist als Menelaos solide, aber blass.

In den ausgiebigen Premieren-Schlussapplaus für die Darsteller mischten sich im Burgtheater bei Bondy auch ein paar Buhs.

++ Theater

Helena
Von Euripides
Übersetzung Peter Handke
Luc Bondy (Regie)
Mit Birgit Minichmayr, Johann Adam Oest, Andrea Clausen u.a.

11., 12., 13., 15., 16., 17., 19. Juni

Burgtheater; Tel. 01 / 513 1 513 

 Tragisch, sehr tragisch! Komisch, sehr komisch! Das sind die wechselnden Grundstimmungen der "Helena"-Inszenierung von Festwochen-Intendant Luc Bondy, die am Mittwochabend im Wiener Burgtheater Premiere hatte. Peter Handke hatte das fast vergessene Euripides-Drama, das den alten Mythos der "ägyptischen Helena" als Mischung aus Götterspaß und Ehedrama erzählt, neu übersetzt.

Nach zwei Stunden und zwanzig Minuten, in denen es viel Text, aber kaum Handlung gab, war man sich nicht sicher, ob sich diese Wiederentdeckung tatsächlich gelohnt hat. Wirklich beeindruckend fiel einzig Karl-Ernst Herrmanns souveräner Bühnenbild-Wurf aus.

Herrmann lässt einen schier endlosen Leuchtstab das gesamte Theater durchqueren. Von der Decke des Zuschauerraums führt er bis zum hintersten Bühnenboden, Symbol der Verbindung zwischen Götter- und Menschenwelt, die im Stück wiederholt angesprochen wird. Der mit einem Griechen-Schiff an Ägyptens Küste an Land gespülte Menelaos (Ernst Stötzner) muss erkennen, dass der ganze Kampf um Troja um ein Trugbild der Helena geführt wurde. Die echte Gattin (Birgit Minichmayr) weinte sich unterdessen in Ägypten die Augen aus dem Kopf und verstand die Welt nicht mehr. Ähnlich geht es nun Menelaos, der sich gefoppt fühlen muss, und erfährt, dass jene, die er aus Troja geraubt zu haben glaubt, sich soeben in Luft aufgelöst hat.

Was sich in diesem Ambiente abspielt, hält mit der starken Bilder-Setzung leider nicht mit. Handkes Übersetzung hat gewiss ihre Reize und auch manche schöne Formulierung. Die hohe, hehre Sprache, die gelegentlich von heutig klingenden Formulierungen durchbrochen wird, hat eine Gestelztheit, die es nicht leicht macht, wirklich mit den von Götterlaunen Gebeutelten mitzufiebern - zumal viel geredet wird und wenig geschieht.

Johann Adam Oest muss den ägyptischen König Theoklymenos, der bereits fix mit der Ehelichung Helenens rechnen durfte, als einfältigen Tor anlegen. Oest versucht ebenso wie Minichmayr und Stötzner, aber auch Andrea Clausen, Libgart Schwarz, Branko Samarovski, Markus Hering oder Dietmar König in diversen Nebenrollen, nach Kräften das Beste daraus zu machen. Eine wirkliche Einheit entsteht daraus nicht. In den ausgiebigen Premieren-Schlussapplaus um das Ensemble mischten sich gestern bei Bondy auch ein paar Buhs.

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In der Bar zum Krokodil

Roland Müller, veröffentlicht am 11.06.2010

Birgit Minichmayr ist als Helena eine Tragödin der etwas anderen, der erfrischend verruchten Art.  Foto: dpa

Wien - Gebt der Tragödie, was der Tragödie ist! An nichts soll es ihr fehlen, auch nicht am Deus ex machina, dem Gott, der aus der Theatermaschinerie kommt, seit die Menschheit das Theaterspielen kennt! In Wien krachen am Ende also zwei Meteoriten auf die Bühne, in denen die Söhne von Zeus, Kastor und Pollux, stecken. Und kaum ist ihr gewaltiger Aufpralldonner verklungen, reden die beiden unsichtbaren Götterjünglinge auch schon mit der von oben eingespielten, mit Echo verdoppelten Stimme des Hans-Michael Rehberg daher. Raunend lesen sie, unterstützt von der sich warm laufenden Theatermaschinerie, dem tyrannischen Ägypterkönig Theoklymenos die Leviten: "Herr dieses Landes, halt inne in deinem Wüten / welches dich nirgendshin führt."


 
Wirklich? Nirgendshin? Ins Burgtheater, immerhin, hat es Theoklymenos jetzt gebracht, eben Dank des vom doppelten Deus ex machina gegeißelten Wütens, das sich zuvor gegen die Griechen gerichtet hat. Der Ägypterkönig nämlich hasst die Hellenen! Alle - bis auf eine Ausnahme, die er liebt: Helena. Diese schöne Helena aber entzieht sich seinen Nachstellungen, weil sie in Treue ihrem verschollenen Gatten Menelaos, dem Spartanerkönig, verbunden bleiben will. Davon (unter anderem) handelt das 412 vor Christus uraufgeführte Drama des Euripides, das Peter Handke neu übersetzt, Luc Bondy bei den Wiener Festwochen inszeniert und mit Birgit Minichmayr in der Titelrolle prominent besetzt hat. Das klingt gut und leider besser, als es am Ende ist.

Dabei ist der Stoff, den Euripides bearbeitet, noch sehr apart. Der antike Dichter hält sich nämlich nicht an die von Homer überlieferte Sage, in der Helena von Paris nach Troja entführt und also zum Kriegsgrund wird. Nein, bei Euripides wird, als Folge einer göttlichen List, nur ein Trugbild von Helena nach Troja verschleppt, ein aus Äther geschaffenes Phantomwesen, ein virtuelles Fantasieweib - weshalb der ganze Trojanische Krieg, das ganze zehnjährige Gemetzel nichts als ein einziger blutiger Witz war!

Vom klaren Sinn der Verse geschaukelt 


Die wahre Helena indes ist vom Götterboten Hermes nach Ägypten verbracht worden - eine tolle Pointe, die Euripides seinen mythengläubigen Zeitgenossen freilich nur mit abfederndem Humor auftischen konnte: Wenn Helena zusammen mit ihrem wieder aufgetauchten Gatten den dummgeilen Ägypterkönig übertölpelt, um zurück in die Heimat fliehen zu können, wird die ernste Griechentragödie zur heiteren Nilkomödie. Und auch das, dies Zwitterhafte der "Helena", ist sehr apart.

So weit, so gut. Trotzdem merkt man schnell, weshalb dieses Drama des Euripides heute zu Recht vergessen ist. Anders als beispielsweise seine "Medea" kommt es kaum vom Fleck. Statt einer Handlung, die vorwärts drängt, bietet es nur Berichte, die immer und immer wieder die - zugegeben: nicht uninteressante - Biografie dieser Helena ausbreiten. Das ist mühsam, das dauert, das zieht sich in die Länge, weshalb das Trio Handke, Bondy und Minichmayr (und überhaupt das ganze Ensemble) schon ihr Allerbestes geben müssten, um dieses schwerfällige Euripides-Drama zu rehabilitieren.

Handke, immerhin, spendiert eine gute Übersetzung. Wer sie liest und hört, wird nicht nur vom geschmeidigen Rhythmus, sondern auch, verglichen mit älteren Übertragungen, vom klaren Sinn der Verse geschaukelt und getragen. Handke macht das mit mythologischen Rück- und Querverweisen gespickte Drama für uns Heutige lesbar, sprechbar, spielbar. Und wenn dann mal doch stilistische Holprigkeiten auftauchen, werden sie vom Ensemble routiniert geglättet. Aus diesem Ensemble ragt die Frau in der Titelrolle hervor, die Helena der Birgit Minichmayr.

Hinter der Schönheit lauert die Verführungskunst 


Minichmayr ist eine Tragödin der etwas anderen, der erfrischend verruchten Art. Sie wirkt so, als wolle sie Euripides in einen Nachtclub legen. Die tief ausgeschnittene Tunika fällt locker um ihren Körper, die Haarsträhne aufreizend ins Gesicht und der tiefrote Schmollmund - dem Betrachter ins Auge. Sie ist schön, diese Helena, aber unter ihrer Schönheit lauert die Verführungskunst eines Luders, durch dessen Kehle schon viel Whisky geflossen ist. Minichmayrs Stimme ist rauchig, heiser und krächzend, aufgeraut gleichermaßen durch ein böses Schicksal wie durch eine sinnliche Erotik. Sie könnte in der schummrigen Bar zum Krokodil am Nil arbeiten, wäre da nicht die verteufelte Tugend - und das durchgestyle Bühnenbild von Karl-Ernst-Herrmann.

Sein Ägypten ist schick geteilt. Rechts von einer Wasserrinne liegt der Strand mit der keck hervorstoßenden Bootsschnauze, links die Stube mit dem hochaufragenden Bücherturm, zu dessen Füßen eine Reihe von Schreibtischen mit Leselampen steht, alles sehr stilsicher drapiert und sehr hübsch anzuschauen: Wie fast immer nähert sich Herrmanns Bühne auch hier einer Kunstinstallation, die von großer Routine bei der Herstellung des schönen Scheins zeugt.

Leidenschaft wird durch Handwerk ersetzt 


Dieser Routine verfällt leider auch Luc Bondy, wenn er - trotz dem klugen Handke, trotz der spielwütigen Minichmayr - die "Helena" zwar gekonnt, aber ohne Ideenfeuer inszeniert. Für den Chor des Euripides findet er immerhin noch ein sinnfälliges Bild, da versammelt er junge Spielerinnen, als wär's ein Mädcheninternat, in seinem Bücherlesesaal. Züngelnd wie in einem Schlangennest, gackernd wie in einem Hühnerstall, kichernd wie auf einem Schulhof kommentieren sie Helenas Geschick. Das sind schlüssige Choreografien, ja, schon aber auch sie können die stickige Museumsluft, unter der diese Inszenierung stöhnt, nicht wegblasen. Luc Bondy ersetzt, alles in allem, Leidenschaft durch Handwerk.

Erst als die Tragödie in die Komödie kippt, frischt die Atmosphäre auf. Helena und Menelaos, den Ernst Stötzner tönend gibt, legen Theoklymenos sauber rein. Wie Mussolini, also operettenhaft, donnert Johann Adam Oest die schrillen Auftritte seines Ägypterkönigs auf die Bretter. Jetzt sieht und hört man nicht nur Euripides "Helena", sondern - von ferne - auch Jacques Offenbachs "Schöne Helena". Das aber ist, jenseits von Homer, wieder eine ganz andere Geschichte.


THEATERKRITIK Das launische Kind

Wiener Festwochen: Luc Bondy spielt mit „Helena“, einem vergessenen Drama von Euripides

Auch Tragiker brauchen mal eine Auszeit, gerade in finsteren Zeiten. Euripides hatte seinen Athenern nach dem sizilianischen Eroberungsabenteuer, das in der Katastrophe endete, 415 v. Chr. mit den „Troerinnen“ die Leviten gelesen. Drei Jahre später schickte er der Tragödie ein Satyrspiel hinterher, „Helena“, in dem er die homerische Version vom Anlass des trojanischen Krieges bitter-satirisch konterkarierte.

Die schöne Helena ist gar nicht von Paris nach Troja entführt worden, Hera, durch ihre Zurücksetzung beim Paris-Urteil gekränkt, schob dem trojanischen Königssohn ein Phantom unter. Die echte Helena wurde per Hermes-Luftfracht auf die ägyptische Insel Pharos spediert, wo sie am Hofe des Königs Proteus mit ein paar griechischen Sklavinnen in steter Ungewissheit dahinlebt. Wie geht der um sie geführte Krieg aus? Sieht sie ihren Gatten Menelaos je wieder, dem sie in Wahrheit treu anhängt?

Der Frauenversteher Euripides tut ihr mit dieser Rehabilitation nicht wirklich einen Gefallen. Birgit Minichmayr, die die Rolle jetzt in Luc Bondys Festwochen-Produktion am Wiener Burgtheater in der Neuübersetzung von Peter Handke spielt, bekommt es zu spüren. Zweieinhalb pausenlose Stunden lang sucht sie auf der riesigen Schräge von Karl-Ernst Herrmann eine Figur. Und rettet sich in ihrem langen, mehr ent- als verhüllenden weißen Fließgewand in wechselnde Posen: mal trauernde Tragödin (Ach, ich bin an dem ganzen Unheil schuld!), mal schmollende BB (Ich kann doch nichts dafür, dass ich so sexy bin!). Für eine Authentizitätsschauspielerin erkennbar ein Dilemma.

Bondy hilft ihr wenig. Er scheint bei seinen dekorativen Arrangements ständig darauf zu warten, dass endlich die Musik einsetzt – am besten von Jacques Offenbach. Ansonsten verhält er sich gegenüber dieser Dramaturgen-Ausgrabung – „Helena“ wird kaum je gespielt – wie ein bücherschmökerndes, launisches Kind. Ins selbstironische Bild gebracht: Links steht ein Bücherturm, aus dem sich zehn hübsche College-Girls (der Chor) alte Folianten angeln, um sie an aufgereihten Stehlampentischchen stirnrunzelnd oder kichernd zu studieren.

Auftritt Ernst Stötzner als Menelaos, schiffbrüchig dem Meer entstiegener Sieger von Troja, unrasiert, muskelbepackt, burgtheaterfüllend dröhnend – und wieder ist unklar: Ernst oder Parodie? Immerhin gelingt die Agnorisis-Szene anrührend, in der sich das alte Ehepaar, das sich 17 Jahre nicht gesehen hat, tastend, zweifelnd, schließlich handgreiflich wiedererkennt. Wobei Menelaos die Augen dafür geöffnet werden müssen, dass es die „falsche“ Helena ist, die er in einer Strandhöhle zurückließ.

Jetzt nimmt Euripides eine Kurve, die direkt in die Feydeau’sche Farce zu führen scheint. Dazu muss der junge Ägypter-König – das Grab seines Vaters Proteus’ liegt noch offen mit frischer Erde an der Rampe – bei Handke „ganz wild“ sein auf die schöne Fremde, die (bei Bondy) spärlich bekleidet vor ihm auf keusch macht: Johann Adam Oest, von „Wild Thing“ aus allen Boxen krachend begleitet, ist ein kalaschnikowbewehrter Kleinstaatdikator mit Tatoo und Ray-Ban-Brille. Nicht ganz überraschend bremst ihn die plötzlich ausgebuffte Helena mit allen Tricks aus.

Der tumbe Menelaos darf brav mitspielen: Er wird zum Boten umfunktioniert, der Menelaos’ Tod berichtet. Helena wirft sich in Trauerschwarz, erfindet blitzschnell den attischen Ritus des Schiffsbegräbnisses, zu dem sie als Witwe verpflichtet sei, und der vor Gier blinde Barbar stellt tatsächlich ein Boot zur Verfügung, in dem sich Helena, der falsche Bote und der Rest der gestrandeten Griechenmannschaft gen Sparta davonmachen.

Schlüsselfigur dieser rasanten Coda ist die Schwester des Barbarenkönigs, die Seherin Theonoe – bei Andrea Clausen eine robbende, kahlschädelige, tragödinnenbibbernde Schlagenmenschin. Statt Menelaos gemäß ihrer religiösen Pflicht zu enttarnen, entscheidet sie sich für Recht und menschliche Vernunft – Kern der Euripideischen Religionskritik. Um den blindwütigen Bruder vom Mord an ihr abzuhalten, braucht es dann aber doch den Deus ex machina: Die Dioskuren, Helenas Brüder, lassen vom Himmel zwei riesige Meteoriten ins Bühnenbild krachen.

Ist mit diesem Ende alles gut? Der verspielte Regisseur, dem Tragischen schon immer abhold, versammelt alle Übriggeblieben, sogar den Barbarenkönig, in der Bibliothek und lässt sie in den alten Geschichten schmökern. Aus der Tiefe kommt, wieder in Weiß, Helena angeschlendert: alles nur ein Trugbild der Literatur. So steht der Nachweis aus, hier wäre ein zu Unrecht vergessenes Drama zu entdecken. Achtungsapplaus für die Schauspieler, Buhs für Bondy.



Weitere Aufführungen am 11., 12. 13., 15., 16., 17. und 19 Juni.