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Troja oder ein Krieg um nichts
Peter Handke übersetzt die "Helena" des Euripides - und Luc Bondy inszeniert sie in Wien als glanzvolles Boulevardstück
VON ULRICH WEINZIERL
Die Dame ist, so war es in der Antike Brauch und Sitte, bedenklicher Herkunft: aus einem Ei geschlüpft. Notgeil hatte Göttervater Zeus im Schwanenkleid ihre Mutter Leda geschwängert. Doch sprichwörtliche Schönheit trug der Frucht überirdischer Sexualität üblen Leumund ein. "Bewundert viel und viel gescholten", heißt es noch bei Goethe. Immerhin galt Helena, die von Paris dem Gatten Menelaos geraubt und nach Troja entführt worden war, als Verursacherin des Trojanischen Kriegs. Grund genug zur Klage: "Das Ärgste weiß die Welt von mir, und ich / Kann sagen, ich bin besser als mein Ruf". Das behauptet zwar eine andere Königin, nämlich Schillers Maria Stuart, es könnte aber auch von Euripides oder Peter Handke stammen. Der hat dessen Tragödie "Helena" neu übersetzt: in silbengenaue, rhythmisierte Sprache samt kleinen verbalen Ausflügen in unsere Tage, solcher Art das ganz Alte mit der Gegenwart versöhnend.
Bei Lichte betrachtet, ist die "Helena" des Euripides, die eine minder populäre Version des Mythos erzählt, keine Tragödie. Und nicht allein, weil alles gut ausgeht: Das wiedervereinte hohe Paar Helena und Menelaos segelt schließlich, von sanften Winden und Wellen geschaukelt, Richtung Griechenland - Heimkehr nach einer weiblichen Odyssee von nicht weniger als siebzehn Jahren. Denn im Drama steckt auch ein Täuschungslustspiel, in mehrfacher Hinsicht: Die gestohlene Helena war hier gar nicht die echte, nur ein holder Schemen, von Göttinnenmissgunst erzeugtes Wolkenluftgebilde. Während sich Paris mit einem Phantom begnügen und vergnügen musste, während Troja in Flammen stand und Abertausende fielen, lebte die leibhaftige, die tugendreine Helena an Ägyptens Gestaden, wohin sie der himmlische Postbote Hermes verfrachtet hatte. Also wurde der männermordende Krieg um Troja völlig umsonst geführt. Auf diesen Mythenstrang stützte sich nicht zuletzt auch die Oper von Hofmannsthal und Richard Strauss: die Geschichte der "Ägyptischen Helena". Der Rest ist Operette, von Jacques Offenbach.
Das Wesentliche, den zweiten Teil von Euripides' Stück Beherrschende entspringt der List der Helena: Um den Avancen von Ägyptens König Theoklymenos zu entgehen und gemeinsam mit ihrem wieder gefundenen, tot geglaubten Mann zu entkommen, spielt dieser einen Augenzeugen, der von Menelaos' Sterben berichtet. Helena, plötzlich verzweifelt trauernde Witwe, will dem angeblich Ertrunkenen die Ehre einer symbolischen Seebestattung erweisen - dann würde sie Theoklymenos erhören. Naturgemäß kann der ihr in seiner erotischen Vorfreude den frommen Wunsch nicht abschlagen. Die Trauerbarke verwandelt sich für Helena und Menelaos in ein Hochzeitsschiff.
Dass im Zuge der sehr unfreundlichen Übernahme des Bootes durch die Griechen eine Menge Leute draufgegangen sind, ist aus der Perspektive des Altertums nichts als ein Kollateralschaden: Euripides & Co. erwogen nebenbei die These, die Götter hätten das Gemetzel um Troja entfacht, damit "Mutter Erde" von der "gar zu zahlreichen Masse Mensch" erleichtert werde. Ein frühes Beispiel des Kampfs gegen die Bevölkerungsexplosion.
Für die Wiener Festwochen, im Burgtheater zu Gast, inszeniert Luc Bondy die "Helena" à la Handke heiter und hell, teils näher bei Offenbach als bei Euripides: eine beschwingte Salonkonversationskomödie, gleichsam antiker Edelboulevard. Freilich, trotz aller ironischen Brechung, mit tieferer Bedeutung. Schon Karl-Ernst Herrmanns elegante Bühne wirkt wie ein später Gruß der zitatfreudigen Postmoderne: Ein Bücherturm und ein Spalier von Bibliothekstischchen zur Linken, zur Rechten Sand und Strand. Der gestirnte nächtliche Himmel verleiht dem Meereshorizont Silberschimmer. In der Mitte, wohl Hommage an Vater Nil, eine Nirosta-Rinne, durch die bei Bedarf, weil wir ja nicht im Paradiese, sondern im ägyptischen Exil sind, statt Milch und Honig Wasser und Blut fließen: in eine Zisterne, die das Grabmal des Proteus birgt. Der hatte - anders als sein ordinärer Sohn Theoklymenos - die Asylantin Helena aufgenommen, ohne sie zu bedrängen.
Aus dem Chor machte Bondy eine Truppe quirliger College-Mädel. Vergeblich bemüht sich deren orientalische Klänge produzierende Aufseherin um Ruhe und Ordnung: Mal beraten die Literaturstudentinnen Helena, mal flattern sie durcheinander wie ein Lachtaubenschwarm, mal verhöhnen sie Theoklymenos.
Bondys Helena aber ist Birgit Minichmayr, der Star des Abends. Mit Faust zu sprechen, wenn er Helena im Zauberspiegel erblickt: "Ist's möglich, ist das Weib so schön?" Die Minichmayr präsentiert das Virtuosenrepertoire ihrer Töne, Blicke und Gesten - von der gealterten höheren Tochter über die Liebende bis zum Weibsteufel in raffinierter Naivität. Stets ist sie ungemein intensiv, was die jeweilige Situation erfordert: mondäne Langeweile, Schmerz, Tücke, das Aufblitzen des Glücks. Dem Recken Menelaos, von Ernst Stötzner in seiner Beschränktheit scharf konturiert, ist diese Frau weit überlegen. Ein ehrpusseliger Gefangener der eignen Heldensaga. Johann Adam Oest erinnert als Theoklymenos - wie so oft - an eine Mischung aus Thomas Mann und Professor Unrat: Würde auf Abwegen der Unzucht. Wunderbar Andrea Clausens Seherin Theonoe, die schlangengleich, ein Wesen urweltlichen Wissens, über den Boden kriecht. Glänzend auch die herzlich finstere Türhüterin von Libgart Schwarz und Branko Samarovskis Bote. Er humpelt wie ein Schwerstkrüppel und redet wie ein Nestroyscher Hausknecht.
Den Schlusspunkt setzt ein Doppelschlag. Kastor und Pollux, Helenas Brüder, stürzen als Meteoriten mit großem Krach auf die Bühne. Die Götter haben gesprochen: Helena und Menelaos gehören zusammen. Wäre da nicht die ins Dunkel huschende Gestalt des Truggespinsts der falschen Helena. War alles nur ein Traum? Auch die Treue ist ein Mythos.
Termine: 11.-13., 15.-17., 19. Juni; Karten: (0043 1) 589 22 22
"Helena" im Burgtheater: Euripides dichtete, Peter Handke übersetzte neu und Luc Bondy inszenierte
Im Scheinwerfer der Langeweile
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Glanzlichter eines lauen Theaterabends: Birgit Minichmayr in der Titelrolle und Johann Adam Oest als ägyptischer Regent. Foto: apa/Techt
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Von Judith Schmitzberger
Es ist viel Zeit vergangen seit dem Trojanischen Krieg. Sehr viel. Und mitunter hörte man sie aufdringlich laut ticken im Burgtheater. Immer dann, wenn nicht gerade Birgit Minichmayr als erfrischend aufgeklärte Helena vom schleppenden Dahinstreichen dieses Abends ablenkte. Oder Johann Adam Oest der schönen Helena – wahlweise auch allen anderen weiblichen Wesen auf der Bühne – geifernd nachstellte und sich durch seine vom Trieb verblendete Weltsicht blenden ließ.
Außer ein paar herausragenden Schauspielerleistungen bleibt jedenfalls nicht viel von der jüngsten Festwochen-Produktion im Burgtheater. Peter Handke hat ein – nicht nur zu Unrecht – in Vergessenheit geratenes Stück von Euripides neu übersetzt. Festwochen-Intendant Luc Bondy hat sein Ensemble mehr oder weniger vom Blatt spielen lassen. Warum er dieses Stück zeigt, erläutert der Regisseur mit dieser Arbeit nicht. Die Figuren führt er möglichst dramatisch und erhaben, möglichst ewig gültig und zugleich heutig – möglichst langatmig ist mitunter das Resultat.
Euripides beleuchtet den ewigen Griechen-Stoff von einer ungewohnten Perspektive: Die schöne Helena ist in Ägypten und wartet am Hof von Theoklymenos auf die Rettung durch ihren Gatten Menelaos. Dem ist sie stets treu gewesen, denn Paris hat lediglich ein aus Wolken geschaffenes Abbild der Schönsten geehelicht.
Also sitzt Helena im Exil, beklagt ihr Los und versucht, dem Werben des Herrschers zu entkommen. Menelaos kommt schließlich, und durch eine List können die beiden in die Heimat fliehen.
Peter Handke hat versucht, dem Text seine antike Kraft und herbe Poesie zu lassen und aktualisierte, salopp zugespitzte Versatzstücke einzubringen. Dabei gelingen ihm einige schöne Sprachbilder. Ein homogenes oder gar in den Bann ziehendes Ganzes ergibt es nicht. Wie die Handlung selbst pendelt auch in Handkes Fassung etwas unentschlossen zwischen Tragik und Komik.
Im Zweifelsfall für beides
Luc Bondy hat sich in dieser Frage für beides entschieden – er spitzt sowohl die tragischen als auch die komischen Momente zu. Überzeichnet Lust und Leid. Dazwischen klafft ein großes szenisches Nichts. Die Bühne von Karl-Ernst Herrman bindet der Regisseur kaum ein, sein extravaganter Entwurf lässt ratlos zurück.
Ein gigantischer Leuchtstab durchkreuzt Zuschauerraum und Bühne. Er trennt die Spielfläche, die weit ins Parkett hineinreicht, in zwei Teile – Bücherturm und Lese-Tische auf der einen Seite; Sand, Erde und ein Boot auf der anderen. Durch eine Rinne fließt wahlweise Wasser und Blut. Kultiviertheit trifft Naturgewalt – was er damit genau sagen will, erläutert Bondy nicht. Ebenso wenig, warum es auch im Publikum den ganzen Abend über hell bleibt. Irgendwann ertönt lautstark "Wild Thing", und zum Finale schrammt die Produktion an der Lächerlichkeit, wenn zwei blitzende Felsen vom Himmel fallen und den finalen Urteilsspruch verkünden.
Der zweieinhalbstündige Abend steht und fällt also mit den großteils sehr guten Darstellern. Birgit Minichmayr zeigt eine bewusste, liebende und listige Helena. In ihren Monologen wird klar, wie absurd es ist, eines Namens wegen Krieg zu führen. Johann Adam Oest sorgt als geiler, gieriger Herrscher für grotesk komische Momente. Ernst Stötzner ist als Menelaos solide, aber blass.
In den ausgiebigen Premieren-Schlussapplaus für die Darsteller mischten sich im Burgtheater bei Bondy auch ein paar Buhs.
++ Theater
Helena
Von Euripides
Übersetzung Peter Handke
Luc Bondy (Regie)
Mit Birgit Minichmayr, Johann Adam Oest, Andrea Clausen u.a.
11., 12., 13., 15., 16., 17., 19. Juni
Burgtheater; Tel. 01 / 513 1 513
Tragisch, sehr tragisch! Komisch, sehr komisch! Das sind die wechselnden Grundstimmungen der "Helena"-Inszenierung von Festwochen-Intendant Luc Bondy, die am Mittwochabend im Wiener Burgtheater Premiere hatte. Peter Handke hatte das fast vergessene Euripides-Drama, das den alten Mythos der "ägyptischen Helena" als Mischung aus Götterspaß und Ehedrama erzählt, neu übersetzt.
Nach zwei Stunden und zwanzig Minuten, in denen es viel Text, aber kaum Handlung gab, war man sich nicht sicher, ob sich diese Wiederentdeckung tatsächlich gelohnt hat. Wirklich beeindruckend fiel einzig Karl-Ernst Herrmanns souveräner Bühnenbild-Wurf aus.
Herrmann lässt einen schier endlosen Leuchtstab das gesamte Theater durchqueren. Von der Decke des Zuschauerraums führt er bis zum hintersten Bühnenboden, Symbol der Verbindung zwischen Götter- und Menschenwelt, die im Stück wiederholt angesprochen wird. Der mit einem Griechen-Schiff an Ägyptens Küste an Land gespülte Menelaos (Ernst Stötzner) muss erkennen, dass der ganze Kampf um Troja um ein Trugbild der Helena geführt wurde. Die echte Gattin (Birgit Minichmayr) weinte sich unterdessen in Ägypten die Augen aus dem Kopf und verstand die Welt nicht mehr. Ähnlich geht es nun Menelaos, der sich gefoppt fühlen muss, und erfährt, dass jene, die er aus Troja geraubt zu haben glaubt, sich soeben in Luft aufgelöst hat.
Was sich in diesem Ambiente abspielt, hält mit der starken Bilder-Setzung leider nicht mit. Handkes Übersetzung hat gewiss ihre Reize und auch manche schöne Formulierung. Die hohe, hehre Sprache, die gelegentlich von heutig klingenden Formulierungen durchbrochen wird, hat eine Gestelztheit, die es nicht leicht macht, wirklich mit den von Götterlaunen Gebeutelten mitzufiebern - zumal viel geredet wird und wenig geschieht.
Johann Adam Oest muss den ägyptischen König Theoklymenos, der bereits fix mit der Ehelichung Helenens rechnen durfte, als einfältigen Tor anlegen. Oest versucht ebenso wie Minichmayr und Stötzner, aber auch Andrea Clausen, Libgart Schwarz, Branko Samarovski, Markus Hering oder Dietmar König in diversen Nebenrollen, nach Kräften das Beste daraus zu machen. Eine wirkliche Einheit entsteht daraus nicht. In den ausgiebigen Premieren-Schlussapplaus um das Ensemble mischten sich gestern bei Bondy auch ein paar Buhs.
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